Castagniccia
Die Castagniccia ist ein mit Kastanienwäldern bedecktes, hügeliges Gebiet im Nordosten Korsikas. Der Gipfel des Monte San Petrone bildet mit seinen 1767 m den höchsten Punkt. Im 18. Jahrhundert spielte die Castagniccia eine wichtige Rolle in der korsischen Unabhängigkeitsbewegung. Die vielen Klöster waren Versammlungsort der Freiheitskämpfer und ein Zentrum des Widerstandes. Pasquale Paoli wurde in der Castagniccia (Morosaglia) geboren.
Es waren die Genuesen, die im 15. Jahrhundert die ersten Kastanienbäume (den korsischen Brotbaum) pflanzten. Die Korsen waren danach verpflichtet, mindestens vier Bäume im Jahr zu setzen. Früher war die Castagniccia ein reiches Gebiet mit der höchsten Bevölkerungsdichte Korsikas. In den Zeiten des Wohlstandes wurden zahlreiche barocke Kirchen gebaut. Ab den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts entvölkerte sich das Gebiet rasch. Heute wohnen nur noch wenige Menschen hier, meist Alte, in den pittoresken Dörfern, an deren Häusern der Zahn der Zeit nagt.
Die Rundfahrt durch die Castagniccia ist am ehesten ab Frühsommer oder – noch schöner – im Herbst zu unternehmen. Im Frühjahr haben die mächtigen Kastanienbäume noch keine Blätter und machen so einen tristen Eindruck.
Das Alesani-Tal
Rundfahrten durch die Castagniccia beginnen viele in Cervione, das schön am Hang oberhalb der Ostküste Korsikas gelegen ist. Von dort führt die D71 über Sant’Andrea-di-Cottone ins Alesani-Tal und danach hinauf zum Col d’Arcarota. Dahinter liegt das eigentliche Zentrum der Castagniccia mit zahlreichen Dörfern und Weilern. Dazu gibt es ein dichtes Netz an engen Strässchen und es ist nicht leicht, sich zu orientieren, sobald man die D71 einmal verlassen hat. Genaues Kartenmaterial ist ratsam, denn die Michelin-Karte reicht eher nicht aus.
Das Alesanital ist dem Meer zugewandt und wirkt daher nicht so verschlossen wie das Zentrum der Castagniccia. Hinter Sant’Andrea-di-Cottone durchfährt man das Dorf Ortale und gelangt so nach Valle-d’Alesani. Unmittelbar vor dem Dorf zweigt die D217 zum ehemaligen Franziskanerkloster von Alesani (Couvent d’Alesani). Dort wurde Theodor von Neuhoff am 15. April 1736 zum König von Korsika gekrönt. Es handelt sich um ein typisch korsisches Kloster ohne viel Schmuck und es ist auch nur in mässigem Zustand. Die Kirche war bei unserem letzten Besuch verschlossen.
Über Novale, Pietra-di-Verde und Chiatra erreicht man wieder die Ostküste und hat so das Alesani-Tal beidseitig besucht. Unterhalb von Chiatra liegt der Stausee von Alesani, über dessen Staumauer ein Strässchen hoch nach Sant’Andrea di Cottone und so wieder auf die D71 führt. Alles in allem eine landschaftlich nette Zusatzschlaufe.
Nach Valle-d’Alesani folgt man der D71 Richtung Piedicroce und durchfährt so die Gemeinde von Felce, die sich aus zahlreichen Weilern zusammensetzt. Direkt an der Strasse steht ein kleines Geschäft, in dem Produkte aus der unmittelbaren Region gekauft werden können. Man findet nebst selbst gebackenen Kastanienkuchen auch das begehrte Kastanienmehl, aber auch Honig wird angeboten. Der Familienbetrieb hat verlassene Kastanienhaine aufgekauft, wieder auf Vordermann gebracht und neu kultiviert.
Schliesslich erreicht man den Col d’Arcarota (790 m) und verlässt so das Alesani-Tal. Auf der Passhöhe befindet sich ein Restaurant. Die Marktstände am Strassenrand weisen darauf hin, dass hier jeden Sonntag von Juni bis September ein Markt stattfindet.
Quelle von Orezza
Hinter dem Pass ist man schon im Herzen der Castagniccia. Bleibt man weiter auf der D71, erreicht man nach 8 km den für Castagniccia-Verhältnisse grossen Ort Piedicroce, der sogar noch über eine Poststelle verfügt. Auch ein Hotel ist vorhanden. Vor der grossen Barockkirche Saint-Pierre et Saint-Paul liegt ein schöner Platz, auf dem sich abends die Boule-Spieler treffen.
Ein schmales Strässchen, die D508, führt hinunter zur Mineralquelle von Orezza. Auf dem Weg durchquert man den Weiler Stazzona mit dem hübschen Glockenturm. Über mehrere Kehren gehts hinunter ins Tal. Man überquert den Fium’Alto und ist so schon bei der Quell-Anlage. In einem Shop werden in der Saison Orezza-Sonnenschirme, T-Shirts, Gläser und noch viel mehr verkauft. Die Quelle war während Jahren stillgelegt, ehe der Betrieb im Jahre 2000 wieder aufgenommen wurde. Das Wasser kommt bereits mit Kohlensäure versetzt aus dem Boden. Mitten im Firmengelände kann man das stark eisenhaltige Wasser direkt ab Quelle kosten.
Vor der Ortschaft Pie-d’Orezza, unterhalb von Carcheto, befindet sich in einer Rechtskurve das Hinweisschild „Cascade“ zur „Aire de Baignade“. Dort findet man den schönen Wasserfall Cascade de Carcheto (Cascade A Struccia) mit einem schönen Badebecken.
Wer genug hat von den vielen Kurven der Castagniccia, kann auf der D506 entlang des Fium’Alto an die Ostküste fahren. Dort erreicht man in Folelli wieder die T10.
Kloster von Orezza
Von der Orezza-Quelle fährt man wieder hoch nach Piedicroce und folgt weiter der D71 Richtung Ponte-Leccia. Bereits nach 1 km erreicht man das ehemalige Kloster von Orezza (Couvent d’Orezza). Das Kloster wurde 1485 von den Franziskanern gegründet. Das Gebäude war im 18. Jahrhundert ein beliebter Versammlungsort der Widerstandskämpfer. 1790 trafen sich hier auch Pasquale Paoli und Napoléon Bonaparte. 1943, während des 2. Weltkriegs, wurde das Kloster von den Deutschen zerstört. Die Italiener unterhielten hier ein Munitions- und Lebensmittellager. Die Mönche haben das Kloster aber bereits 200 Jahre vorher aufgegeben. Die Klosterruinen weisen zerbröckelnde barocke Altäre und diverse Stuckaturen auf.
500 m nach dem Kloster von Orezza zweigt die schmale D246 nach Pastoreccia und Campodonico ab. Letzteres einer der beiden Ausgangsorte für die Besteigung des Monte San Petrone. Die Variante von Campodonico ist deutlich weniger häufig begangen als jene vom Col de Prato aus, was wohl an den 200 Höhenmetern liegen mag, die man von hier aus mehr bezwingen muss.
Auf der D71 erreicht man den Weiler Campana und zweigt 2.5 km danach auf die D515 ab. Diese führt durch den Weiler Croce nach La Porta, einem der schönsten und auch grössten Dörfer der Castagniccia. Der Ort besitzt eine elegante Barockkirche (St-Jean Baptiste), die 1648 – 1680 erbaut wurde. Links davon ragt ein Glockenturm, der 1720 errichtet wurde, in den Himmel.
Um von La Porta wieder auf die D71 zu gelangen, fährt man links der Kirche vorbei und folgt so weiter der D515 (nach 1.7 km links halten) kurz vor dem Col de Prato wieder auf die Hauptstrasse.
Auf dem Col de Prato (985 m) findet Ende Juli/Anfangs August ein grosser Markt statt. Der Pass ist auch beliebter Ausgangspunkt für die Wanderung auf den Monte San Petrone (1767 m). Hin und zurück benötigt man gut 5 Stunden. Die Aussicht vom Gipfel ist grandios. Wie ein riesiges Meer breitet sich der riesige Kastanienwald, der der Castagniccia den Namen gab, aus. Darin verteilt erblickt man die vielen Dörfer und Weiler. Der Blickt reicht aber auch zu den höchsten Gipfeln Nordkorsikas, darunter die Paglia Orba und der Monte Cinto sowie der Monte d’Oro. Der Weg ist vom Pass aus gut ausgeschildert.
Geburtshaus von Pasquale Paoli
Etwa 2.5 km hinter dem Col de Prato erreicht man das Dorf Morosaglia, welches aus mehreren Weilern besteht. Im Weiler Strette erblickte Pasquale Paoli am 6. April 1725 das Licht der Welt. In seinem Geburtshaus ist heute ein kleines Museum eingerichtet. In einem Nebenraum wird die Asche des Präsidenten des kurzlebigen korsischen Staates (1755-1769) aufbewahrt. Teile des Hauses sind heute noch bewohnt. Uns empfing bei unserem letzten Besuch das kleine Mädchen der Familie. Im sehenswerten Museum werden persönliche Gegenstände Paolis gezeigt.
Öffnungszeiten: 2. 5. – 30. 9. von 9 bis 18 Uhr / 1. 10. – 30. 4. von 9 – 17 Uhr / Preis: 2 €
Nach Morosaglia führt die D71 hinunter bis nach Ponte-Leccia.